modernes Märchen
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Ein modernes Märchen

Es war einmal ein wunderschönes Tal dort lebten die Menschen zufrieden und in Eintracht mit der Natur, die noch heil und nahezu unzerstört war.

Doch eines Tages begann es dunkel zu werden in dem Tal; es wurden viele Brücken gebaut, Erdwälle aufgeschüttet, Schneisen für Strassen gezogen und das Licht hatte bald keine Möglichkeit mehr, die Menschen, die Tiere und Pflanzen zu erreichen, zu erwärmen.

Da machte sich der Fürst des Tales auf, die verschwundene Sonne zu suchen.

Eines Tages, schon war er fast mutlos geworden, fand er sie. 

Sofort versuchte der Fürst die Sonne dazu zu bewegen, mitzukommen, um wieder Licht zu bringen der geknechteten Bevölkerung.  Er versprach der Sonne allerhand.  Da zog sich die Sonne einen dunklen Mantel an und kam in das Tal um sich erst einmal umzusehen. 

Sie äußerte sich skeptisch doch der Fürst versprach ihr immer mehr; sauberen Boden,  klares Wasser, riesige Wälder, reine Luft und vieles, was die Sonne noch verlangte.

Er sprach zur Sonne: All dies soll künftig dir gehören.  Hier kannst du deine Ruhe finden und Licht produzieren, auf das alles erleuchtet werde.  Unser Boden braucht die Erze, die Mineralien die dabei abfallen und unsere Luft kann auch noch eine Auffrischung vertragen.  Unser Wasser ist sowieso zu kalt, so dass deine Kühlsysteme es recht erwärmen.

Ganz nebenbei liebe Sonne werden wir uns zu einem berühmten Luftkurort entwickeln, in dem die Glieder der Menschen bleigestärkt und durch allerlei Mineralien angereichert werden.  Auch dies soll dir liebe Sonne nicht zum Schaden sein.

Ob all dieser Versprechungen war die Sonne endlich überzeugt, packte alles ein was sie brauchte und kam in das finstere Tal.

Und so kam es, dass endlich Sonnenschein herrschte in jenem Tale

So verging einige Zeit und die Menschen in jenem Tale waren glücklich und zufrieden denn durch die wärmende Sonne konnten viele wieder arbeiten, ihren Familien Brot geben das sie brauchten. Auch konnten sie allerlei Spielzeug und lustige Dinge anschaffen.

Getrübt wurde diese Freude nur manchmal, wenn ab und zu ein Kind verkrüppelt zur Welt kam und der Tod manch all zu junge Menschen ohne Vorwarnung und Erklärung hinweg raffte.

Manche Menschen begannen zu rätseln, doch der Fürst des Tales, der mittlerweile im Aufsichtsrat der Sonne saß, war großzügig. Schnell ließ er ein Heim für diese Kinder bauen und das Krankenhaus wurde mit allerlei Geräten ausgestattet die nur von Menschen in weißen Kitteln bedient werden konnten.  Auch kamen gelehrte Leute von überall her.  Sie gingen durch das Tal und hatten seltsame Dinge in den Händen; auch waren sie in sonderbare, noch nie gesehene Kleider eingehüllt.  Sie untersuchten den Boden, das Wasser und die Luft, doch sie fanden nichts und beruhigten die zweifelnden Menschen.

So vergingen Jahre und die Menschen freuten sich immer mehr über die schöne, warme Sonne.

Es wurden weiter Brücken und Erdwälle gebaut und  Schneisen für Straßen gezogen und alles war wunderschön.  Es war wie im Märchen, die Menschen konnten im Sommer Schlitten fahren und im Winter baden und sonnen, so viele wundersame Dinge ließ der Fürst im Tal geschehen.

Eines Tages, es war gerade Mittag, hatte die Sonne plötzlich keine Kraft mehr, die gelben Nebel die sich über das Tal legten zu vertreiben.  Viele Menschen fingen an zu klagen, denn sie spürten eine große Bedrängnis in ihrer Brust. Hastig zogen sie die Luft ein um nicht zu ersticken. Da kamen ihnen Tränen aus den Augen und viele fielen um und rührten sich nicht mehr.  Doch gleich darauf kam der Wind und blies den Nebel fort.

Die Menschen standen auf, schauten sich fragend an und zuckten mit den Schultern. Der Fürst kam mit einem großen Wagen daher und aus einem trichterförmigen Gerät ertönte seine laute Stimme:

Leute bleibt ruhig, es ist überhaupt  nichts Schlimmes geschehen,

Da gingen die Menschen ihres Weges und neigten ihre Häupter, denn sie wollten die Sonne mit ihren Glitzerstrahlen nicht verlieren.

Als dann der neue Morgen kam und die Menschen ihr Tal sahen, fürchteten sie sich sehr.  Die schönen Wälder waren kahl, alle Nadeln und Blätter lagen verwelkt am Boden.

Die Wasser flossen als gelbe Brühe durch das Tal und der Boden war mit einer seltsamen Schicht bedeckt. Ab und zu lag auch ein Mensch erstarrt und kalt mitten auf der Straße

Plötzlich kamen große Wagen in das Tal und fuhren durch alle Straßen. Männer, in fremdartigen Gewändern sprangen heraus und nahmen alle Menschen einfach mit.

Die „Kalten“ warfen sie in Kastenwagen, die anderen mussten in Wagen mit dunklen Abdeckungen steigen.

Kein Mensch des Tales durfte bleiben, alle wurden mitgenommen außer dem Fürsten und den Sonnenmenschen, die seit Jahren in Glashäusern mit künstlich erzeugtem Sauerstoff wohnten.

Und wieder verging die Zeit, die Wochen, Monate und Jahre; das Tal blieb menschenleer.  Wo sind sie nur, all die Menschen die hier ihre Heimat hatten, warum kommt keiner mehr zurück?

Der Fürst und die Sonnenmenschen stehen oft an den Fenstern ihrer Glashäuser, sie halten Ausschau in das Tal.  Kein Baum, kein Strauch, keine Blume, kein Vogel, kein Schmetterling waren seit langem mehr zu sehen.

Die Berge kahl nur Fels, im Tal -waren da nicht grüne saftige Wiesen -, sie sehen nur grauen Boden und die Ruinen der Häuser, die die Menschen einst bewohnten. 

Wie nah doch alles liegt und doch so fern; denn auch die Sonnenmenschen können seit langem Ihre Glashäuser nicht mehr verlassen.  Einige Mutige versuchten es, kamen zurück und irrten nach kurzer Zeit willenlos durch die Gänge der Paläste; sie sprachen wirr, verloren sich mit der Zeit und wurden immer schwächer.

Die übrigen Sonnenmenschen waren empört über dieses Verhalten und verwiesen diese Verräter aus ihren Palästen.

Auch der Fürst musste eines Tages gehen, weil seine bohrenden Fragen den Sonnenmenschen nicht mehr gefielen. Langsam ging er durch die Tür, lief durchs Tal und ward fortan nie mehr gesehen.

In den Glaspalästen der Sonnenmenschen aber geschah viel Sonderbares. Kinder kamen tot zur Weit, andere waren verkrüppelt, wieder andere hatten kaum Ähnlichkeit mit Menschen und junge Menschen starben plötzlich, viel zu früh.

So geschah es, dass es immer weniger Sonnenmenschen gab.

Die Paläste begannen allmählich zu verfallen, die künstlichen Sonnen hörten auf zu leuchten, denn sie hatten keine Kraft mehr und es wurde kälter und kälter.

Nur ein einziger alter Mann ist jetzt noch dort.  Er steht vor einer großen bemalten Wand.  Seine Hände streicheln über die Wipfel der Bäume, die da zu sehen sind, über das blaue Wasser des Baches, der sich munter durch das grüne Tal dort schwingt.  Seine Augen suchen den Schmetterling, die Vögel und das scheue Reh.  Langsam wendet er sich ab, öffnet die Tür und geht hinaus in eine Welt, die ohne Zukunft ist.

So geschah es, dass auch der letzte Mensch verschwunden war für alle Zeit.

Und wieder vergingen Jahre, Jahrhunderte, niemand hat sie mehr gezählt, da blühten im Tal ein paar Gänseblümchen und ein kleines Bäumchen streckte seine Äste keck in den Himmel

LK (Dez.1986)